Beast on the Moon  In Armenisch-Deutsche Korrespondenz , Nr.115, Jg.2002/ Heft 1

von Susanna Amirkhanyan 

„Wer die Wahrheit  spricht, sagt ein armenisches Wort,
muss immer ein gesatteltes Pferd bereithalten“

Diese Worte von Armin T.Wegner standen als Motto über dem Stück „Beast on the Moon“ von Richard Kalinoski, welches vor kurzem in Hamburg aufgeführt wurde (8. bis 25. November 2001, Kammerspiele im Amerikahaus). Der bekannte Schauspieler  Dominique Horwitz spielte die Hauptfigur, Aram Tomasian, und war gleichzeitig der Koproduzent des Stückes.
„Beast on the Moon“, das vor zwei Jahren seine deutsche Erstaufführung in Wuppertal erlebt hatte (s.ADK 106, S.42), erzählt vom Genozid an den Armeniern und vom Wunsch weiterzuleben.  Das Stück wurde auf viele Bühnen der Welt gebracht: es  ist in Toronto,  London, Buenos Aires, Lausanne, Paris und Moskau  gespielt worden. Auch in den USA ist es bekannt. Der Philadelphia Enquirer hatte es 1995 als eine der zehn besten Produktionen des Jahres bezeichnet. 1996 erhielt das Stück den Osborn Award der American Theatre Critics. Im Mai 2001 wurde  bei der 15. Vergabe des Prix Molière die französische Version Une Bête sur la lune in der Inszenierung von Irina Brook in fünf Kategorien ausgezeichnet (s.ADK 112, S.42).
Der Autor des Stückes, Richard Kalinoski, wurde in US-Bundesstaat Wisconsin geboren. Nach einem Studium am American Film Institute in Los Angeles erhielt er sein Diplom als Dramatiker. Seit 1968 schreibt er Theaterstücke. „Beast on the Moon“ ist eines seiner bisher bekanntesten.
New York, 30er-Jahre: Der junge armenische Fotograf Aram Tomasian hat den  Genozid an seinem Volk überlebt und ist in die USA emigriert. Er hat keine Verwandten mehr, seine Eltern und Geschwister sind während der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich geköpft worden. Aram ist nur eine Reliquie geblieben: ein Familienfoto. Eines Tages schneidet er die Gesichter der Ermordeten aus. Er will das Foto mit lebendigen Gesichtern einer neuen Familie füllen. Für diese Traumidee nach dem göttlichen Befehl "Seid fruchtbar und mehret euch" zahlt er viel Geld und heiratet per Ferntrauung ein fünfzehnjähriges armenisches Waisenmädchen, Seda, aus Istanbul. Ihre Ankunft soll seine Träume wahr werden lassen. Denn sie werden  Kinder zeugen, deren Gesichter ihm helfen werden, die Vergangenheit zu vergessen. Der Familienstammbaum wird mit neuen Trieben versehen werden, woraufhin er im freien Amerika glücklich sein wird. Aber alles kommt anders, als gedacht...
Hinter dem alltäglichen Leben, das zart und humorvoll entwickelt wird, verbergen sich der Wunsch zu leben, aber auch die seelischen Verletzungen, über die die Beiden lange nicht sprechen, weil  sie schreckliche Bilder in ihren Erinnerungen tragen.
Bei  Mondfinsternis schossen die gläubigen Türken auf den Mond, um das scheußliche „Biest“, das den Halbmond, das heilige Symbol, schlucken wollte, zu töten. Eines Tages schossen sie auch auf die Armenier, weil sie ihr Land schlucken könnten. Das Biest hat sich in den Herzen der Türken festgesetzt, hat ihren Verstand  besetzt, die wilden Säbel wurden gezogen, und der Plan zur Vernichtung der Armenier wurde umgesetzt.
Dominique Horwitz erzählt in einem Gespräch:„Als Produzent bin ich immer auf der Suche nach etwas Neuem. So habe ich den Lektor des  Fischer Verlags angerufen und gefragt, ob er etwas für mich hätte. Er hat mir das Buch „Beast on the Moon“ geschickt. Als ich mich mit dem Thema beschäftigte, hat mich besonders erschüttert, wie sich ein ganzes Land und seine Politiker verhalten nach allem, was geschehen ist. Bei mir war das wie bei den meisten: ich wusste nichts über den Völkermord an den Armeniern, insbesondere nichts über das Ausmaß des Massakers. Da ich Jude bin, hat mich das alles unglaublich aufgewühlt und aufgeregt. Deswegen fand ich es wichtig, das Stück zu machen.“
Und so kam es, dass das Stück „Beast on the Moon“, eine Produktion der Horwitz & Hauptmann Entertainment GmbH, in Hamburg aufgeführt wurde - zum dritten Mal in Deutschland: nach Wuppertal und Tübingen, wo es einen Monat vor der Hamburger Aufführung gespielt worden war.
Dominique Horwitz ist weder Politiker noch Historiker - dass er dieses Thema gewählt hat, zeigt uns deutlich, wie empört er über das Verschweigen der Geschichte war. Überzeugend stellt er Aram Tomasian dar, einen patriarchalischen Armenier in der hilflosen Situation eines einfachen Mannes, der das Glück sucht, seine Vergangenheit jedoch nicht vergessen kann. Dabei versucht er nicht einmal, naturalistische Elemente hineinzubringen. 
„Naturalismus ist manchmal völlig uninteressant. Er ist nicht immer fundamental und allgemein gültig. Ich bin weder Christ noch bin ich Armenier. Dennoch: wenn man sich diese Geschichte ansieht, wird sie für alle Menschen gültig, und dazu muss man weder Armenisch können, noch jemals einen Fuß nach Armenien gesetzt haben, um authentisch zu sein. Manchmal wird mit Authentizität eher eine Distanz zum Publikum geschaffen.“
Das Stück hatte Dominique Horwitz so gefallen, dass er die Premiere innerhalb von vier Monaten vorbereitet hatte. Und da der Spielplan der Hamburger Kammerspiele ausgebucht war, führte man das Stück im Amerikahaus in Zusammenarbeit mit den Kammerspielen auf. Dominique Horwitz hat dem Regisseur Didi Danquart, der sich viel mit der Thematik der Unterdrückung und des Völkermords beschäftigt  hat, vorgeschlagen mitzuarbeiten. Dieser hatte sofort zugestimmt. Die Rolle von Arams Frau, Seda Tomasian, wurde von der jungen Schauspielerin Esther Zimmering ausgezeichnet gespielt. Der dritte Schauspieler im Stück - Gerd Kunath – spielte zwei Rollen: den Erzähler und den jungen Italiener Vincent. Diese Variante wurde von Richard Kalinoski vorgeschlagen und Horwitz stimmte ihr zu: „Dadurch, dass der Erzähler auch den Jungen spielt, wird er zu einer ganz aufregenden Figur mit Geheimnis.  Man hört den Erzähler und denkt darüber nach, was er für eine Vergangenheit zwischen dem jungen und dem alten Mann hatte. Da wird es für mich Theater. Das Stück ist nicht naturalistisch, sondern übertrieben, und wenn man es nicht überhöht, wird das Stück banalisiert.“
Horwitz war enttäuscht, dass das Theaterstück bei den Politikern nicht genug Aufmerksamkeit erregte. Deutschland hat den Genozid an den Armeniern noch nicht anerkannt und hat ein besonderes Verhältnis zur Türkei, wo der Begriff  „Völkermord“ in Bezug auf diese Geschehnisse strafbar ist.  Auf die Frage warum Deutschland bis heute den Genozid nicht anerkannt hat, antwortet Horwitz: „Deutschland verkauft Waffen und Know-How, und insofern kann die Türkei Druck ausüben. Auch damals im Ersten Weltkrieg hatte Deutschland eine große Bedeutung für die Türkei. Es ist jämmerlich, auf welchem Level das stattfindet und aus welchem Grund man sich nicht traut, die Dinge beim Namen zu nennen.“
Vor kurzem bezeichnete die israelische Botschafterin Rivka Kohen in einem Interview  in Armenien den Genozid an den Armeniern als „tragische Geschehnisse“ und nicht als Völkermord. Horwitz empfindet diese Aussage als skandalös und versucht zu erklären: „Als Jude schäme ich mich unglaublich für derartige Aussagen, obwohl die Begründung auf der Hand liegt: Für Israel ist es wichtiger als für Deutschland, gute Verhältnisse zur Türkei zu haben. Israel wird über den Völkermord an den Armeniern nur dann sprechen, wenn die Türkei ein Zeichen setzt. Und die Juden müssen einfach von diesem „Podest“ herunterkommen, dass der Begriff Holocaust nur etwas mit der eigenen Geschichte zu tun hat. Es ist einfach historisch verbrieft, dass der erste Völkermord in 20. Jahrhundert der an den Armeniern ist und nicht der an den Juden. Mich regt diese „Olympiade des Leides“ unglaublich auf.“
Dominique Horwitz wirkte in zahlreichen Kinofilmen mit. Für seine Arbeit im Film „Trickser“ (Regie: O.Hirschbigel) erhielt er 1998 den „GOLDENEN LÖWEN“. Der in Deutschland sehr bekannte Film „Enthüllung einer Ehe“ (Regie: M.Verhoeven), bei dem Horwitz ebenfalls mitwirkte, wurde mit zwei Preisen ausgezeichnet: dem „FIPA D'OR BIARRITZ 2001“ und dem „R. GEISENDÖRFER PREIS 2001“. „Nachtgestalten“ (Regie: A. Dresen) hält Dominique Horwitz für seinen besten Film. Als interessantestes Theaterstück, in dem er gespielt hat, nennt er das Robert Wilson Musical „Black Rider“. Sehr beliebt sind auch seine Jacques-Brel-Abende in den Kammerspielen, mit denen er auch auf Tournee geht.
Zufrieden zu sein findet Dominique Horwitz fürchterlich und lähmend. Er ist energisch, fair, anspruchsvoll und selbstkritisch. Seine Arbeit am Stück „Beast on the Moon“ ist der beste Beweis dafür.